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Freitag, 18. April 2014

Doch das Frankfurter Landgericht hat nun zwei Einschränkungen in das Gesetz hineingelesen (Az.: 3-05 O 60/11 und 3-05 O 142/11). Die eine betrifft das sogenannte Reinheitsgebot. Dieses besagt, dass das Gesetz nur für Anleihebedingungen gelten soll, die ausnahmslos deutschem Recht unterstehen

UnternehmensanleihenDer Reform droht das Scheitern

  ·  Eine Gesetzesreform sollte es angeschlagenen Unternehmen erleichtern, Anleiheschulden zu restrukturieren. Zwei Entscheidungen des Landgerichts Frankfurt gefährden dies.
Nach jahrzehntelangen Diskussionen ist im August 2009 das neue Schuldverschreibungsgesetz in Kraft getreten. Ziel des Gesetzgebers war es, einen Rechtsrahmen für Anleihen zu schaffen, der internationalen Standards genügt. So sollte erreicht werden, dass Unternehmen ihre Anleihen wieder verstärkt nach deutschem Recht ausgeben, statt ausländisches Recht zu wählen.
Trotz einiger Defizite und dogmatischer Schwächen - wie die ursprünglich nicht vorgesehene Inhaltskontrolle nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen - wurde das Gesetz überaus positiv aufgenommen. Unternehmensanleihen nach deutschem Recht erlebten eine unerwartete Renaissance, und zwar nicht zuletzt beim Mittelstand. Plötzlich wurden sogar Hochzinsanleihen den hiesigen Regeln unterstellt.

Einer will alles, schon kriegt keiner etwas

Doch dieser Erfolg ist nun durch zwei überraschende Gerichtsentscheidungen gefährdet. Darin wird der Anwendungsbereich des Gesetzes erheblich eingeschränkt und Unsicherheit geschaffen. Das bedroht die Ziele der Reform. Denn der Bundestag wollte erklärtermaßen ein international anerkanntes Sanierungsinstrument in das deutsche Recht aufnehmen, um ein typisches „Kollektivhandlungsproblem“ zu lösen.
Solche Probleme sind dadurch gekennzeichnet, dass es für einen bestimmten Personenkreis wirtschaftlich sinnvoll sein kann, sich gemeinschaftlich auf eine Verringerung ihrer Maximalforderungen einzulassen, die in der Summe erkennbar unerreichbar geworden sind. Man denke nur an die griechischen Staatsanleihen.
Allerdings besteht für den einzelnen Gläubiger - trotz der Gruppenlogik - durchaus ein Anreiz, sich dem kollektiven Verzicht zu entziehen. Wenn nämlich genügend andere verzichten und dem Schuldner so Luft verschaffen, dann steigen die Chancen des Verweigerers, dass er vielleicht doch seine Maximalforderung durchsetzen kann. Da nun aber viele Gläubiger so denken werden, droht die Entlastung des insolvenznahen Schuldners insgesamt - zum Nachteil aller - am Egoismus der Verweigerer zu scheitern.

Wenn viele verzichten, haben alle mehr

Das Gesetz von 2009 überwindet diese Form des Marktversagens, indem es einen Rahmen für Mehrheitsentscheidungen absteckt. Stimmt eine qualifizierte Mehrheit der Anleihegläubiger für eine Änderung der Bedingungen, dann gilt dies für alle. Dabei lehnt sich der Gesetzgeber bewusst an Mehrheitsbeschlüsse der Aktionäre an. Dieser Ansatz ist stimmig, weil es jeweils um handelbare Wertpapiere geht und Sanierungen nur als Gesamtpaket funktionieren. Eigen- und Fremdkapitalgeber müssen beide verzichten.
Hinzu kommt oftmals ein Beitrag der Arbeitnehmer. Nur durch den kollektiven Verzicht wird das zu sanierende Unternehmen an frisches Geld kommen und vielleicht überleben. Dass dies gesamtwirtschaftlich wünschenswert ist, liegt offen zutage.

Auf Seiten der Querulanten

An die Stelle eines - überspitzt formuliert - auf die Insolvenzquote ausgerichteten Zerschlagungsrechts tritt somit mehr und mehr ein ganzheitlicher Fortführungsansatz. Im Schuldverschreibungsgesetz geht es also vorrangig nicht um individuellen Anlegerschutz, sondern um den Schutz der überwältigenden Mehrheit von „Stakeholdern“ - also den der Arbeitnehmer, Aktionäre, Anleihegläubiger und anderen Kreditgeber, die im wohlverstandenen eigenen Interesse bereit sind, dem insolvenznahen Unternehmen ein Weiterleben zu ermöglichen.
Anders gewendet: Wer den Wirkungsgrad des Gesetzes einschränkt, schützt nicht Kleinanleger, sondern schlägt sich (wie beispielsweise die Umschuldung Argentiniens lehrt) auf die Seite von nerven-, weil kapitalstarken Verweigerern oder professionellen Anfechtungsklägern. Effektiver Anlegerschutz funktioniert vor allem über das Wertpapierhandels- und Prospektrecht sowie die neue europäische Produktintervention.

Problem Finanzierungsgesellschaft

Das gesetzgeberische Ziel spricht also für eine weite Anwendung. Doch das Frankfurter Landgericht hat nun zwei Einschränkungen in das Gesetz hineingelesen (Az.: 3-05 O 60/11 und 3-05 O 142/11). Die eine betrifft das sogenannte Reinheitsgebot. Dieses besagt, dass das Gesetz nur für Anleihebedingungen gelten soll, die ausnahmslos deutschem Recht unterstehen.
Dies ist jedoch bei deutschen Emittenten, die ihre Anleihen über ausländische Finanzierungsgesellschaften (meist in den Niederlanden) begeben, bei bestimmten Anleihetypen nicht der Fall. In diesen Konstellationen, die der Gesetzesbegründung zufolge ebenfalls erfasst werden sollten, beurteilt sich die Rangfolge der Forderungen bei einer Insolvenz des Emittenten zwingend nach dem jeweiligen ausländischen Insolvenzrecht.
Daher werden Regelungen in den Anleihebedingungen, die die Rangordnung der Forderungen berühren, oftmals dem betreffenden ausländischen Recht unterstellt. Da die Sanierung von Unternehmen aber schwerpunktmäßig am Sitz der operativen Gesellschaften erfolgen muss, ist es dennoch sinnvoll und rechtspolitisch wünschenswert, dass die Restrukturierung solcher Anleihen deutschem Recht unterstellt wird.

Reformverschleppung

Entsprechendes gilt für das „Opt-In“ - also einen Beschluss, mit dem sich die Gläubiger von Altanleihen dafür entscheiden, dass statt der bei Emission geltenden Rechtslage das Gesetz von 2009 gelten soll. Doch auch hier legt das Landgericht die neuen Vorschriften so restriktiv aus, dass entgegen dem dokumentierten Willen des Gesetzgebers eine Anwendung speziell bei Auslands-, aber auch bei deutschen Altanleihen stark eingeschränkt wird. Da Anleihen oft lange Laufzeiten haben, würde diese widersinnige Begrenzung bedeuten, dass man noch zwei bis drei Jahrzehnte mit einem gespaltenen Sanierungsregime leben müsste.
Der Bundestag hat hat es allerdings versäumt, Mehrheitsentscheidungen zu regeln, die über verschiedene Emissionen hinweg greifen. Daher sollte die Bundesregierung jetzt ihr Versprechen von damals einlösen, die Wirkung des Gesetzes laufend zu überprüfen und erforderliche Anpassungen vorzunehmen. Dergestalt könnten sowohl die skizzierten Auslegungsprobleme gelöst als auch die konstruktiven Schwächen des Gesetzes beseitigt werden.
Der Autor ist Direktor des Instituts für Wirtschaftsrecht am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Quelle: F.A.Z.

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