Gesamtzahl der Seitenaufrufe

Montag, 20. Mai 2013

Anleihen sind Dauerschuldverhältnisse und sind ausserordentlich kündbar // von Urgestein Ulrich Bosch


Das
Emissionsgeschäft
Dr. Ulrich Bosch
Dr. Wolfgang Groß

bank-verlag köln


Vorwort
Das Emissionsgeschäft, verstanden entweder im engeren Sinn, nämlich als »die Übernahme von
Finanzinstrumenten für eigenes Risiko zur Plazierung oder die Übernahme gleichwertiger Garantien«
(so die Legaldefinition in § 1 Abs. 1 Nr. 10 KWG), oder auch in einem weiteren Sinn, nämlich unter
Einschluß der Plazierung von Wertpapieren für fremde Rechnung (Absatzvermittlung), wird durch
Vorschriften in einer Vielzahl von Rechtsgebieten geregelt und bestimmt. Dazu gehören u.a. bankaufsichtsrechtliche
Bestimmungen und die im Börsenrecht und dem Wertpapier-Verkaufsprospektgesetz
geregelten regulatorischen Rahmenbedingungen für die Plazierung von Wertpapieren. Aufgrund
der Intemationalisierung des Emissionsgeschäfts spielen dabei nicht nur die nationalen Vorschriften
eines Landes, etwa des Sitzstaates des Emittenten, sondern verschiedener Länder, z.B. die
Kapitalmarktvorschriften all derjenigen Länder, in denen die Wertpapiere plaziert werden sollen, eine
Rolle. Darüber hinaus sind ganz unterschiedliche Rechtsbeziehungen zwischen den einzelnen beteiligten
Parteien zu beachten, insbesondere diejenigen zwischen den verschiedenen Konsortialmitgliedem,
zwischen dem Konsortium oder einzelnen plazierenden Banken und dem Emittenten, zwischen
den plazierenden Banken und den Anlegern und schließlich zwischen dem Emittenten und den Anlegern.
Bei der Vielzahl der betroffenen Rechtsgebiete und Rechtsbeziehungen muß eine Darstellung des
Emissionsgeschäfts neben dem erforderlichen Überblick über den Gesamtzusammenhang Schwerpunkte
setzen. Dies gilt zum einen im Hinblick auf die durch den Einfluß internationaler Entwicklungen
sich verändernden Strukturen und Techniken des Emissionsgeschäfts; als Stichworte seien hier
nur das Bookbuilding-Verfahren, die Globalanleihen und die Emissionsprogramme genannt. Das bedeutet
aber zum anderen auch, daß rechtliche Zweifelsfragen immer in Relation zu ihrer Bedeutung
für den Praktiker und dessen Entscheidungsfmdungsprozeß zu setzen und zu untersuchen sind. Ein
besonderes Augenmerk der Autoren galt rechtspolitischen Entwicklungen, beispielsweise in bezug
auf Prospektpflicht und Prospekthaftung. Schließlich waren wir bestrebt, durch Beispiel- und Mustertexte
im Interesse sowohl der täglichen praktischen Arbeit als auch der Rechtswissenschaft für Anschaulichkeit
und Praxisnähe zu sorgen.

Die nachfolgende Darstellung des Emissionsgeschäfts ist ein Sonderdruck aus dem fünfbändigen
Werk »Bankrecht und Bankpraxis«. Verlag und Autoren wollen damit sowohl den Beziehern von
»Bankrecht und Bankpraxis« den Teil »Emissionsgeschäft« in Form eines handlichen Zusatzexemplars
anbieten, als auch über den Kreis der Bezieher des Gesamtwerks hinaus für die im Bereich
Emissionsgeschäft tätigen Mitarbeiter von Emittenten und Banken, Rechtsanwälte und sonstigen
Emissionsberater sowie Richter und Wissenschaftler die Arbeit nutzbar machen.

Frankfurt, im Februar 1998
Ulrich Bosch
Wolfgang Groß


d) Sonstige Regelungen (Kündigungsklauseln, Negativklauseln u.a.)

Außer den Regeln über Zahlungen und Zahlungsabwicklung enthalten Schuldverschreibungen oft
detaillierte ergänzende Bestimmungen, etwa über
• die Tragung von Quellensteuern durch den Emittenten bei internationalen Anleihen (Steuerklausel;
Rn 10/189; Musters. Rn 10/246, § 5 (1 ), und Rn 10/254, unter § 8),
• ein ordentliches Kündigungsrecht der Anleger (put provision; vgl. Muster Rn 10/254, § 6 (6)) oder
des Emittenten (call provision; vgl. Muster Rn 10/246, § 3 (3), und Rn 10/254, § 6 (5)), ein Ausstattungsmerkmal,
das wegen seiner Auswirkung auf die Laufzeit bereits unter Rn 10/178 erwähnt
wurde,
• ein außerordentliches Kündigungsrecht des Emittenten, das meist nur aus Steuergründen
— nämlich bei Einführung einer Quellensteuer - gewährt wird (vgl. Rn 10/192 und Muster Rn
10/246, § 5 (2) und (3), und Rn 10/254, § 6 (3)),
• außerordentliche Kündigungsrechte der Anleger, vor allem wegen Z ahlungsverzugs des Emittenten
oder sonstiger in den Emissionsbedingungen zu definierender Ereignisse, die als Gefährdung
der Ansprüche der Gläubiger angesehen werden (s. Muster Rn 10/246, § 10, und 10/254, § 10),
• eine dingliche oder persönliche Besicherung (Rn 10/194 ff.; Muster einer Garantie Rn 10/255) oder
• eine Verpflichtung, für bestimmte andere Finanzierungen keine Sicherheit zu gewähren oder dies
nur in beschränktem Umfang zu tun (Negativverpflichtung, negative pledge; s. Rn 4/3039 ff.;
Muster Rn 10/246, § 9, und Rn 10/254, § 3).3
Außerordentliche Gläubigerkündigungsrechte bestehen außer im Fall des Ausbleibens von Zahlungen
vor allem für den Fall des Eintritts folgender Umstände (im einzelnen s. jeweils § 10 in den
Mustern 10/246 und 254):
• Nichterfüllung einer anderen Pflicht aus den Schuldverschreibungen als einer Zahlungspflicht -
z.B. Verletzung einer Negativverpflichtung - und Fortbestehen der Verletzung nach Ablauf einer
bestimmten Frist trotz diesbezüglicher Mahnung,
• Drittverzug (cross default)4, d.h. die Verletzung von wesentlichen Zahlungs- oder sonstigen Pflichten
aus Finanzierungsverträgen mit Dritten oder vorzeitige Kündigung - eventuell auch schon der
1 Z u einigen Varianten vgl. Graaf, Euromarket Finance, 1 991, S. 44 f.
2 Die Flexibilität des variablen Zinssatzes bei den FRN (Grundmann in Bankrechts-Handbuch, 1997, § 1 1 2 Rn 8) wird durch
die hierbei erzielten Gestaltungsmöglichkeiten weit übertroffen. Die darüber hinaus gelegentlich noch im Schrifttum zu
findende Aussage, FRN seien nicht durch die Mindestreservepflicht und die Pflicht zur Haltung von Eigenmitteln belastet,
anders als Kreditaufnahmen bei Banken, (Grundmann in Bankrechts-Handbuch, 1997, § 1 1 2 Rn 8), ist nach deutschem
Recht überholt (vgl. zur Mindestreservepflicht etwa BVerwG ZIP 1996, 540) und traf im Ausland z.T. schon früher
nicht zu.
3 U.H. Schneider, Festschrift Stimpel, 1985, S. 887.
4 Dazu etwa Gruber, ÖBA 1990, 985 ff.
10/182
10/183
10/184
10/185
BuB 12.97 10/67


Eintritt der vorzeitigen Kündbarkeit - solcher Verträge wegen Verletzung von Pflichten des Emittenten
oder des etwaigen Garanten, und
• wesentliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Emittenten oder Garanten als
Folge gesellschaftsrechtlicher Umstrukturierungen oder ähnlicher Maßnahmen, besonders Verschmelzungen
(event risk).1
10/186a Unüblich sind dagegen Kündigungsrechte, die ohne nähere Spezifizierung und Einschränkungen
allgemein an das Vorliegen eines wichtigen Grundes (material adverse change) anknüpfen, z.B. an
eine wesentliche Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Emittenten mit der Folge einer
Gefährdung der Gläubigeransprüche. Gleichermaßen selten sind Kündigungsrechte allein wegen
einer Herabstufung des Credit Rating von Wertpapieren des Emittenten oder des Garanten durch
eine Rating-Agentur. Solche Tatbestände können hingegen einen Teil der Voraussetzungen darstellen,
bei deren Vorliegen eine Kündigung wegen event risk (Rn 10/185) als gewissermaßen eines
besonderen Falls eines wichtigen Grunds zulässig ist. Die Kündigung wegen Drittverzugs (cross
default; Beispiel s. im Muster Rn 10/254, § 10(1) (c)) stellt ihrem Grundgedanken nach ebenfalls einen
Sonderfall der Kündigung aus wichtigem Grund dar. Der Wortlaut setzt allerdings meist eine Gefährdung
der Gläubigeransprüche nicht voraus, so daß der Emittent im Fall einer »technischen« Verletzung
von Pflichten gegenüber Dritten, die seine Bonität nicht beeinträchtigen, unter Umständen dennoch
mit einer Kündigung durch die Gläubiger oder einiger von ihnen rechnen muß.

10/186b In der Kapitalmarktpraxis wird zuweilen die Frage kontrovers erörtert, ob Schuldverschreibungen,
weil sie ein Dauerschuldverhältnis begründen, stets auch ohne dahin gehende Vereinbarung aus wichtigem
Grund fristlos gekündigt werden können. Für Darlehen hat der Bundesgerichtshof dies
bejaht.2 Der Grundsatz der Kündbarkeit aus wichtigem Grund beruht auf den Rechtsgedanken der
§§ 626, 554 a und 242 BGB. Voraussetzung ist - wie auch sonst für die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen
aus wichtigem Grund - , daß es der kündigenden Vertragspartei (hier: dem Darlehensgeber)
unter Berücksichtigung aller Umstände nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden
kann, das Schuldverhältnis fortzusetzen. Für Schuldverschreibungen dürfte insoweit nichts anderes
gelten als für Darlehen, nämlich daß sie ein Dauerschuldverhältnis begründen und daher grundsätzlich
auch den Regeln über die Kündbarkeit aus wichtigem Grund unterliegen.

Als Ausfluß des Grundsatzes von Treu und Glauben ist das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund
nicht ausschließbar.3 Folglich kann es insbesondere auch nicht durch einen ausführlichen Kündigungskatalog
konkludent ausgeschlossen werden.4 Mit den Grundsätzen der Rechtsprechung vereinbar
erscheint hingegen eine Auslegungsregel des Inhalts, daß der Begriff des wichtigen Grundes dann,
wenn die Bedingungen einen eingehenden und ausgewogenen Katalog von Gläubigerkündigungsrechten
enthalten, einschränkend auszulegen ist. Dieses Verständnis ergibt sich aus dem für das Kündigungsrecht
aus wichtigem Grund maßgeblichen und grundsätzlich einzelfallbezogenen Konzept der
Zumutbarkeit, nachdem ein Risiko in der Regel dann zumutbar ist, wenn es in den Bedingungen
angesprochen und die Risikoverteilung dort geregelt ist. Dem Katalog von Kündigungsgründen kann
zu entnehmen sein, daß bestimmte Risiken von dem Ersterwerber in Kauf genommen werden und
daher auch von dessen Rechtsnachfolgern zu tragen sind. Setzt das Kündigungsrecht zum Beispiel für
bestimmte Tatbestände das Überschreiten einer Betragsschwelle (z.B. Drittverzug in Höhe von mindestens
DM 10 Mio.) oder eines sonstigen Größenordnungskriteriums voraus, so wird in aller Regel
eine Kündigung aus wichtigem Grund mindestens dann nicht möglich sein, wenn der geregelte Tatbestand
- und nur dieser - dem Grunde nach verwirklicht ist, aber nicht in der geregelten Größenordnung.
Eine andere Beurteilung kann sich hingegen ergeben, wenn noch weitere Sachverhalte vorliegen,
die eine Gefährdung von Gläubigerinteressen erkennen lassen.
10/187 Besicherungsklauseln in den Emissionsbedingungen wirken in aller Regel nicht konstitutiv, sondern
berichten nur über zur Verfügung gestellte Sicherheiten. Bestellt werden die Sicherheiten in der Regel
in separaten Urkunden, z.B. einer Garantieerklärung oder einer Grundschuldbestellungsurkunde.
1 Vgl. Bruder/Hirt, Die Bank 1990, 296 ff.
2 BGH WM 1978, 234 (235); BGH WM 1980, 380; Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Aufl. 19 81, Rn 13 4 1; Bruchner in Bankrechts-
Handbuch, 1997, § 79 Rn 41 ff,; Früh, BuB Rn 3/155 ff., jeweils m.w.N.
3 Münchener Komm. z. BGB - Schwerdtner, 2. Aufl. 1988, § 626 Rn 54 m.w.N.
4 Die gegenteilige These wäre bei Schuldverschreibungsbedingungen, die in der Regel AGB sind (s. Rn 10/159 &}/ rechtlich
noch problematischer als bei Darlehensverträgen.
10/68

näheres:

rolfjkoch@web.de







Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen