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Donnerstag, 23. Mai 2013

In Sanierungsfällen sollten Anleihegläubiger zusammenhalten


INTERVIEWIn Sanierungsfällen sollten Anleihegläubiger zusammenhalten

Angeschlagene Firmen wie Praktiker versuchen häufig, die Zinsen ihrer Anleihen zu drücken. Anwalt Klaus Nieding erklärt, warum Gläubiger einer Zinsänderung nicht zustimmen müssen und wie sie ihre Rechte durchsetzen.
Am Mittwoch steht bei Praktiker die nächste Gläubigerversammlung der Anleiheinhaber an. Quelle: dpa
Am Mittwoch steht bei Praktiker die nächste Gläubigerversammlung der Anleiheinhaber an.Quelle: dpa
In Zeiten niedriger Zinsen stürzen sich viele Anleger auf Unternehmensanleihen. Doch wenn die Firma in finanzielle Schwierigkeiten gerät, wollen die Unternehmen häufig niedrigere oder gar keine Zinsen mehr zahlen. Zuletzt hat beispielsweise Praktiker versucht, die Zinsen zu drücken. Wie können sich Anleihegläubiger dagegen wehren?
Zunächst einmal muss man verinnerlichen, was eine Anleihe rechtlich ist. Vereinfacht dargestellt handelt es sich um ein Darlehen, das eine Vielzahl von Darlehensgebern (Anleihegläubiger) einem Schuldner (Anleiheschuldner) gewähren. Der Darlehensgewährung liegen vertragliche Regelungen, die Anleihebedingungen, zugrunde.
In den Bedingungen ist insbesondere die Pflicht zu Zinsenzahlungen geregelt.
Ja, die vertragliche Pflicht des Anleiheschuldners besteht grundsätzlich darin, den Darlehensbetrag zu einem vereinbarten Termin zurückzuzahlen. Darüber hinaus ist der Darlehensnehmer verpflichtet, einen geschuldeten Zins entweder zu einem vereinbarten Termin oder bei Endfälligkeit zu zahlen.
Und diese Bedingungen dürfen nicht einseitig geändert werden?
Möchte der Schuldner die Zahlungsmodalitäten (Zinshöhe und Fälligkeit) ändern, so stellt dies eine Vertragsänderung dar, der beide Seiten zustimmen müssen. Es gilt grundsätzlich: Ohne Zustimmung der Anleihegläubiger keine Änderung der Zahlungskonditionen. Wenn es also diesbezüglich einer Änderung bedarf, kann die Anleiheschuldnerin die Gläubigerversammlung einberufen.

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Welche Rechte hat der Gläubiger, wenn der Schuldner nicht mehr zahlen will?
Kann der Schuldner seiner vertraglich vereinbarten Pflicht zur Zinszahlung nicht nachkommen, so muss das der Anleihegläubiger zunächst einmal hinnehmen, da er das Bonitätsrisiko des Schuldners trägt. Der Anleihegläubiger hat bei Nichtzahlung jedoch Rechte aus dem Vertragsverhältnis, insbesondere den Anspruch auf Zahlung von Zinsen. Darüber hinaus kommen weitere individuelle Rechte des einzelnen Anleihegläubigers in Betracht und solche, die kollektiv von der Gesamtheit der Anleihegläubiger geltend gemacht werden können.
Wie kann sich der Anleihegläubiger mit Bezug auf seine individuellen Rechte wehren?
Bleibt eine Zinszahlung aus, so hat der Anleihegläubiger neben dem regulären Zahlungsanspruch auf Zinsen bei Fälligkeit nach den Vertragsbedingungen regelmäßig ein Recht zur Kündigung und Gesamtfälligstellung der von ihm gehaltenen Anleihebeteiligung. Er kann dann die Rückzahlung nebst Zinsen verlangen. Dies muss jedoch individuell geprüft werden. Darüber hinaus kommen gegebenenfalls Schadenersatzansprüche aufgrund strafrechtlicher Erwägungen in Betracht, wenn ein Verdacht auf Untreue oder Betrug gegen den Anleiheschuldner besteht und sich bewahrheitet.
Anlegeranwalt Klaus Nieding erklärt die Rechte von Anleihegläubigern. Quelle: Bert Bostelmann / Bildfolio für Handelsblatt
Anlegeranwalt Klaus Nieding erklärt die Rechte von Anleihegläubigern.Quelle: Bert Bostelmann / Bildfolio für Handelsblatt
Alternativ können die Anleihegläubiger sich aber auch gemeinsam wehren. Welchen Vorteil hätte das?
Die Anleihegläubiger können ihre Rechte auch im Kollektiv, der Gläubigerversammlung, durchsetzen und Entscheidungen als Gesamtheit treffen. Die Beschlüsse sind dann für alle Anleihegläubiger der gleichen Anleihe verbindlich. Die wichtigsten Beschlüsse sind die Wahl eines Gemeinsamen Vertreters und die Möglichkeit der Änderung der Anleihebedingungen. Insbesondere in Sanierungsfällen ist ein kollektives Vorgehen angeraten, um als Gläubiger geschlossen aufzutreten und ein einheitliches Vorgehen mit der entsprechenden Handlungsstärke gegenüber dem Anleiheschuldner durchzusetzen.
Die Anleihegläubiger können also gemeinsam ablehnen, dass die Vertragsbedingungen geändert und die Zinszahlungen reduziert werden?
Das ist grundsätzlich möglich. Für die wirksame Beschlussfassung der Gläubigerversammlung stellt das Gesetz gewisse Anforderungen auf. So muss ein bestimmter Teil des ausstehenden Kapitals bei der Versammlung anwesend sein und für die Beschlussfassung ist eine qualifizierte Mehrheit erforderlich. Ist die Gläubigerversammlung bei der ersten Versammlung nicht beschlussfähig, so kann eine zweite Versammlung folgen. In diesem Fall gelten erleichterte Bedingungen für die wirksame Beschlussfassung. In den meisten Fällen kommt es zur Wiederholung der Gläubigerversammlung, da die Kleinanleger, die bereits Geld verloren haben, nicht bereit sind auch noch Fahrtkosten für die Teilnahme an der Versammlung aufzuwenden.
Gläubiger können also die Beschlussfassung verzögern, wenn sie der Versammlung fernbleiben?
Ja, hier ist jedoch nach dem Zweck und dem individuellen Fall zu fragen. Als Anleihegläubiger weiß ich, dass ich mit mehreren in einem Boot sitze. Auch ist davon auszugehen, dass ein Großteil der Anleger die gleichen Motive wie ich hat, nämlich zumindest das investierte Kapital zurückzuerhalten.
Bei der Gläubigerversammlung von Praktiker steht an diesem Mittwoch die Wahl eines Gemeinsamen Vertreters auf der Tagesordnung. Welche Vor- und Nachteile bringt ein solcher Vertreter mit sich?
Bei der Wahl des Gemeinsamen Vertreters werden auch seine Befugnisse von der Gläubigerversammlung festgelegt, also inwieweit er für die Anleihegläubiger handeln darf. Im Ergebnis sind die Nachteile für den einzelnen Anleihegläubiger daher gering. Der Vorteil ist, dass ein gebündelter Informationsfluss und eine zentrale Anlaufstelle für die Anleihegläubiger beispielsweise neben dem Insolvenzverwalter geschaffen wird, welcher meist mit der Unternehmensverwertung oder Sanierung befasst ist.
Der Gemeinsame Vertreter kann also nicht über die Köpfe der anderen Gläubiger hinweg entscheiden?
Ein Durchentscheiden einer Person, also die alleinige Entscheidung ohne vorherige Ermächtigung durch die Gläubigerversammlung (Marschroute), gibt es grundsätzlich nicht. Er kann also nicht allein die detaillierten Bedingungen für einen Zinsverzicht festlegen. Aufgrund der Befugnis der Gläubigerversammlung kann er zwar gegebenenfalls Verhandlungen führen, über einen Konsens muss jedoch die Gläubigerversammlung entscheiden. Auch im Falle einer Abwicklungsinsolvenz bietet sich der Gemeinsame Vertreter an, da die gesamte Forderungsanmeldung auf diesen ausgelagert werden kann und die einzelnen Gläubiger sich nicht mehr individuell um die Forderungsanmeldung kümmern müssen.
Im Fall Praktiker liegt ein großer Teil der Anleihen in institutioneller Hand. Wie können sich Kleinanleger wehren, wenn sie nicht mit deren Meinung übereinstimmen?
Das kollektive Anleihegläubigerrecht basiert auf dem Mehrheitsgrundsatz, so dass wir in diesem Fällen den Anlegern stets zu einer Interessenbündelung raten um das Kräfteverhältnis zwischen den einzelnen Anlegergruppen auszugleichen. Bei der Gläubigerversammlung selbst kann natürlich auch der einzelne Gläubiger aktiv agieren, um die übrigen Anleihegläubiger, von einem bestimmten Vorgehen zu überzeugen.
Dass die Vertragsbedingungen überhaupt nachträglich geändert werden können, hängt mit dem neuen Schuldverschreibungsgesetz zusammen. Wie sind Ihre Erfahrungen, gehen die Änderungen immer zum Nachteil der Anleger aus?
Das Wort Nachteil ist bei Unternehmensanleihen immer so eine Sache. Der Gläubiger bekommt für sein eingesetztes Kapital meist eine überdurchschnittliche Verzinsung, welche natürlich auch einen Risikoaufschlag beinhaltet. Dieser preist auch ein etwaiges Ausfallrisiko mit ein, Stichwort Griechenland. Der Anleihegläubiger riskiert daher sein Kapital, indem er es einem Unternehmen gibt, anstelle dieses auf einem Tagesgeldkonto mit niedriger Verzinsung und Einlagensicherung und Rückzahlungsgarantie anzulegen. Kommt es dann zu einer Schieflage des Unternehmens muss eine adäquate Lösung gefunden werden, mit der sowohl die Anleihegläubiger, wie auch das Unternehmen leben können. Gelingt dies nicht, folgt meist die Insolvenz.
Was raten Sie Anleihegläubigern, wenn ein Zinsverzicht droht?
Dies lässt sich nicht so einfach beantworten. Hier spielen diverse Aspekte eine Rolle, wozu auch gehören kann, eine soziale Verantwortung für die Belegschaft eines Unternehmens im Rahmen der Sanierung mitzutragen, da es gerade in Sanierungsfällen, die nicht selten auch durch Gehaltskürzungen von den Mitarbeitern getragen werden, um den Fortbestand des Unternehmens geht. Es stellt sich dann die Frage, ob der Anleger auf seiner Rendite beharren möchte und die Insolvenz des Unternehmens in Kauf nimmt, oder ob er einen Beitrag zu leisten bereit ist. Man sollte dabei nicht vergessen, dass der Anleger bewusst das Bonitätsrisiko des Unternehmens in Kauf genommen hat. Hierbei ist jedoch stets der individuelle Fall zu beurteilen.
Wie bewerten Sie die Position der Anleihegläubiger im Vergleich zu Aktionären? Wer hat mehr Rechte? 
Auf den ersten Blick würde ich sagen, dass die Aktionäre mehr Rechte haben, da sie Gesellschafter des Unternehmens sind und daher mehr Einflussnahmemöglichkeiten auf die Geschäftsführung haben. Dies können die Anleihegläubiger, da diese nur Gläubiger und nicht Gesellschafter sind, nicht. Auf der anderen Seite haben die Anleihegläubiger regelmäßig eine bessere Position, da sie eben Gläubiger und nicht Gesellschafter sind. Daher werden Sie im Insolvenzverfahren im Vergleich zu Aktionären vorrangig aus der Insolvenzmasse befriedigt.
Im besten Fall kommt ein Anleger gar nicht erst in die Situation, in ein angeschlagenes Unternehmen zu investieren. Worauf sollte man bei der Wahl der Anleihen vorgehen?
Man sollte sich auf jeden Fall das Unternehmen genau anschauen, welches die Anleihen begibt. Wie sehen die letzten Jahresabschlüsse aus? Macht das Unternehmen Gewinne? Wie viele Anleihen hat das Unternehmen begeben? Wurden Anleihen vollständig zurückgezahlt? (Auch wenn dies nur ein Indiz ist). In einzelnen Fällen kommt es auch vor, dass die Anleihebedingungen vorsehen, dass auf manche Regelungen deutsches Recht nicht anwendbar ist. In diesem Fall müsste man gegebenenfalls bei Problemen in anderen Jurisdiktionen klagen, daher Vorsicht!
 http://www.handelsblatt.com/finanzen/recht-steuern/anleger-und-verbraucherrecht/interview-in-sanierungsfaellen-sollten-anleiheglaeubiger-zusammenhalten-seite-all/7600542-all.html
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